
"Overtourism" in den Alpen
"Da sind ja schon alle anderen, da braucht's mich nicht auch noch."
HANSPETER EISENDLE (Bergführer und Profibergsteiger)
"In den Bergen sein" ist IN

THEMA: WILDCAMPEN ALS LIFESTYLE?
Auch das verstärkte Aufkommen von Wildcamping ist heutzutage mehr Lifestyle als echte Begierde nach Naturverbundenheit. War der billige Urlaub im alten, selbstumgebauten Bus noch eine der wenigen Schlupflöcher für die Urlaubsreise von Aussteigern, Hippies oder Studenten ohne Geld, stehen mittlerweile ausgebaute Luxus-Busse auf den Parkplätzen . Die Camper-Dudes wirken meist nicht wie Aussteiger mit der letzten Hose im Gepäck, sondern eher wie eine sehr zahlungskräftige Klientel, welche sich nach der sterilen Büroarbeit am Wochenende nach etwas Dreck und Natur sehnt? Das ist im Prinzip auch durchaus nachvollziebar, wird der Outdoorsport mittlerweile sogar schon in der Autowerbung für die Emotionen Wildnis und Freiheit benutzt. Man packt den Gaskocher aus und freut sich über den günstigen Urlaub, obwohl für diese Zielgruppe die Gebühren für einen Camping-Stellplatz oder für ein Zimmer gar kein Problem wären. Es geht scheinbar oft um den angeblichen Lifestyle, Sehnsüchte und Freiheit. Es ist natürlich Pech, wenn im gleichen Jahrzehnt alle die gleiche Idee haben und die eh schon großen Wander-Parkplätze komplett überfüllt sind. Der Konflikt mit der ansässigen Bevölkerung über fehlende Wertschöpfung, Lärm und Müll ist natürlich bei steigender Anzahl vorprogrammiert, vor allem wenn die Stellplätze mittlerweile schon illegal in Naturparks aufgesucht werden. Ich selber nutze meinen Camper nur um wertvolle Zeit zu sparen und eventuell in der Nacht noch zum Einstieg der Tour vorzurücken. Bin ich ein paar Tage vor Ort, gönne ich mir ein günstiges Zimmer mit Dusche oder bin sowieso auf den Hütten.
"Trend Natur, Fitness, Wandern und digitale Inszenierung"
In Summe leben wir alle in einer fitten Leistungsgesellschaft die von Schnelllebigkeit und niederschwelligen Erlebnissen geprägt ist. Jeder lebt in seiner Blase und die Berge oder der Strand sind reine Hintergrundkulisse um sich physisch und digital zu präsentieren. Die alpinen Vereine und der technische Fortschritt haben diese Entwicklung mit Angeboten wie Wegenetz, Hüttenausbau, Bergrettung, Klettersteige, Lifte vorbereitet. Der dadurch gewonnene Sicherheitsgewinn in den Bergen hat sicherlich seine Berechtigung und wer genießt den nicht einen schönen Hüttenabend bzw. einen gut gelegten Wanderweg. Bitte das nicht falsch verstehen. Viele der schönen Felsklettertouren, die ich klettere, werden über einen Klettersteig abgestiegen und in dieser Situation ist man sehr froh, sich an einem Stahlseil gemütlich anhalten zu können. Als Felskletterer kann man es sich dennoch nicht verkneifen, bei manchen künstlichen Kletteranlagen etwas den Kopf zu schütteln. Vielleicht kann man in Zukunft Klettersteige wie die Himmelsleiter auch in Großstätten anbringen, den der Felskontakt scheint in diesem Fall ja nicht notwendig zu sein. Der technische Fortschritt von Klettermaterialien, Skitourenbindungen, Lawinensuchgeräten macht nicht halt. Eine Lawinensuche mit dem Pieps beherrschen schon kleine Kinder. Die Ursachen für Unfallzahlen findet man häufig in der körperlichen Fitness bzw. Tourenplanung. Der klassische Sandalen-Tourist ist mittlerweile sehr gut ausgerüstet. Für ein Abenteuer in den Bergen bedarf es trotzdem noch der Eigenverantwortung der einzelnen Akteure, auch wenn oft Stimmen betreffend mehr Regelmentierungen laut werden.
"Man muss den Leuten schon noch die Freiheit lassen, selbst abstürzen zu dürfen." (SCHELLHAMMER & POHL: 2020)
FAZIT: "Aber du warst ja auch dort ?"
Vollkommen richtig, mein Artikel beruht auf Erfahrung und ich habe auch schon einem vollgeparkten Parkplatz bzw. einem Herdenauftrieb beiwohnen müssen mit knallenden Kofferraumtüren, bellenden Hunden und Volksfeststimmung. Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen Kollegen am Berg und konnte schon oft in einer Tour mit einer fremden Seilschaften gut zusammenarbeiten. Der Kontext dieses Artikels bezieht sich aber nicht auf eine Klettertour, wo schon drei Seilschaften darin sind. Hier geht es um verstaute Parkplatze wo die Rettungskräfte nicht mehr weiterkommen, um Klettersteige bei denen man eine Stunde im Stau steht, die endlosen Ameisenspuren von Skitourengehern oder wenn man vor lauter Menschen am Gipfel kein Gipfelkreuz mehr sehen kann. Alles das passiert, quasi fast jedes Wochenende an den Hotspots. Das widerspricht meiner Vorstellung eines authentischen Naturerlebnisses, aus diesem Grund sucht man Alternativen und die gibt es ja zur Genüge. Meistens sind es die einsamen Nachbargipfel. Eine antizyklische Tourenwahl oder das Vermeiden von Hotspots schafft hier schnell Abhilfe und man befindet sich in einer einsamen Naturkulisse.
"Bergsport ist Individualsport und definiert sich durch das Fehlen von Menschenmassen, ansonsten ist die Sportart obsolet. Dafür gibt es Sportarten wie Fußball, Volleyball, Handball, Football, Eishockey... wo man sich gemeinsam mit Menschenmassen ein Stadion teilt und die gemeinsame Stimmung genießt. Die Folgen muss wie immer die Natur ausbaden. Nicht der einzelne Wanderer, Skitourengeher & Kletterer, sondern wir alle, als hedonistische Masse, beeinträchtigen das alpine Produkt, welches wir gleichzeitig suchen und schätzen. Insofern sind auch Naturtouristen gefordert ihr Verhalten zu reflektieren und sich auch mit teilweisem Verzicht auseinander zu setzten."
MEIN TIPP:
Einfach mal den Hotspot-Gipfel auslassen und den unbekannten Nebengipfel besteigen, dann steht man meistens alleine am Gipfel. Sollte sich dennoch ein paar Bergfexe auf den einsamen Gipfel verirrt haben, dann tritt der Effekt ein, dass man sich über den Gipfelsieg der Kollegen ebenfalls erfreuen kann. Dann wird auch wieder gegrüßt am Gipfel und nachgefragt, wie das werte Befinden ist. Vielleicht gibt es sogar den einen oder anderen gemeinsamen Gipfelschnaps. Bergsteiger sind gar nicht so unsozial, wie es manchmal dargestellt wird. Viele schätzen einfach nur die Stille der Natur, sowie die intensive Begegnungen mit dem Berg. Eigenschaften in einem Herdenauftrieb nur schwer zu finden sind.